Der Code des Bata­via-Por­tals von Bad Bent­heim

Von Hel­mut Schön­rock

Bad Bent­heim Nicht nur der im Bent­hei­mer Schloss­park ent­ste­hen­de Nach­bau des Bata­via-Por­tals stellt eine Beson­der­heit dar, son­dern auch die ursprüng­li­che Her­stel­lung des Por­tals und die erst­ma­li­ge Zusam­men­set­zung des etwa 350 Jah­re alten Bau­sat­zes im Wes­tern Aus­tra­li­en Muse­um in Gerald­ton beinhal­tet Über­ra­schun­gen.

Was macht die Wir­kung die­ses Por­tals aus? Gibt es ein Gestal­tungs­prin­zip? Sind es die Ästhe­tik und die Gestal­tungs­kri­te­ri­en der Renais­sance oder ist die Kon­struk­ti­on für die beson­de­re Wir­kung des Bata­via-Por­tals ver­ant­wort­lich? Anhand der Ori­gi­nal­plä­ne des Wes­tern Aus­tra­li­en Muse­ums, habe ich ver­sucht, der Wir­kung auf die Spur zu kom­men.

Die Zahl Phi ist eine eng mit Kunst und Schön­heit ver­wo­be­ne irra­tio­na­le Zahl und besitzt von daher weder eine end­li­che noch eine peri­odi­sche Dezi­mal­dar­stel­lung. Phi 1,6180… wird als „die Zahl der Schöp­fung“, „als Welt­for­mel“, „als gol­de­ne Zahl“ oder als das „gött­li­che Ver­hält­nis“ bezeich­net. Der Zah­len­wert ist der Kern des Gol­de­nen Schnit­tes. Eine Stre­cke „im Gol­de­nen Schnitt tei­len“ heißt, dass sich die Län­ge der klei­ne­ren Teil­stre­cke a zu der der grö­ße­ren Teil­stre­cke b so ver­hält wie die­se zur Län­ge der Aus­gangs­stre­cke c.

Der Gol­de­ne Schnitt steht für ein Tei­lungs­ver­hält­nis.

Nach den Vor­stel­lun­gen der alten Grie­chen konn­te das Ver­ständ­nis die­ser Pro­por­tio­nen den Men­schen hel­fen, sich dem Schöp­fer zu nähern. Sie emp­fan­den die­se Pro­por­tio­nen wie die ver­schlei­er­te For­mel, die Gott anwen­de­te, um Har­mo­nie, Voll­kom­men­heit und Schön­heit zu erschaf­fen. So nutz­te der grie­chi­sche Bau­meis­ter Phi­di­as sein Wis­sen um die Pro­por­tio­nen des „gol­de­nen Ver­hält­nis“ für sei­ne Kon­struk­ti­on des Par­the­non-Tem­pels in Athen.

In der Renais­sance bedien­te sich Michel­an­ge­lo bei der Aus­ma­lung der Six­ti­ni­schen Kapel­le in Rom des „Gol­de­nen Schnit­tes“. Das Decken­bild, die Erschaf­fung von Adam, ist in die­sem Tei­lungs­ver­hält­nis gestal­tet.

Mit ein­fa­chen idea­len geo­me­tri­schen For­men wie Qua­drat oder Kreis wird in der ita­lie­ni­schen Renais­sance die For­men­spra­che der Anti­ke wie­der­be­lebt und Bau­ele­men­te wie Säu­len, Pilas­ter, Kapi­tel­le, Drei­ecks­gie­bel etc. ent­lehnt. Nach die­sen Gestal­tungs­grund­sät­zen wird das Bata­via-Por­tal erstellt.

Ein Por­tal gilt als Zen­tral­be­reich der Fas­sa­den­ge­stal­tung. Die Rah­mung ist eine pro­fi­lier­te Lai­bung, durch Qua­der­werk (Rusti­ca) mit Säu­len. Sie wird von einem Archi­trav hori­zon­tal abge­schlos­sen und mit einem Drei­ecks­gie­bel bekrönt. Durch den keil­för­mig am höchs­ten Punkt eines Bogens ein­ge­setz­ter Schluss­stein wird die Kon­struk­ti­on selbst­tra­gend. Der Schluss­stein des Bata­via-Por­tals – durch jahr­hun­der­te­lan­ge Lage­rung auf dem Mee­res­grund ver­wa­schen – stellt wohl einen Löwen­kopf dar.

Ähn­lich dem Par­the­non-Tem­pel in Athen steht die­ses Por­tal für Balan­ce, Voll­kom­men­heit und Schön­heit. Auf der Gra­fik wird die­se Kon­struk­ti­on nach­voll­zo­gen. Es stellt sich her­aus, dass die Gesamt­hö­he des Por­tals nach den Regeln des „Gol­de­nen Schnit­tes“ geteilt ist. Der Tei­lungs­punkt (M) ist die Mit­te des für den Bogen so wich­ti­gen Schluss­steins, der durch die­ses Tei­lungs­ver­hält­nis eine beson­de­re Bedeu­tung erfährt.

Inter­es­sant ist, dass durch die Kon­struk­ti­on wesent­li­che Ele­men­te des Por­tals fest­ge­legt sind. Wird auf der Basis (S) ein Qua­drat mit der Sei­ten­län­ge der Brei­te des Por­tals bis zum Rand der ers­ten Säu­len auf­ge­spannt (hell­blaue Flä­che), ent­spre­chen die obe­ren Eck­punk­te den End­punk­ten des Archi­travs, des Drei­eck­gie­bels. Auf der Waa­ge­rech­ten durch den Mit­tel­punkt des Qua­dra­tes liegt der Rand der unte­ren Kämp­fer (sie­he Gra­fik).

Die Kunst der Renais­sance (15./16. Jahr­hun­dert) gilt als Wie­der­ge­burt des klas­si­schen Alter­tums in Bezug auf Wer­te, Ästhe­tik und Kunst­emp­fin­den sowie die neu ent­deck­te Dar­stel­lung von Per­spek­ti­ve. Neue Wert­vor­stel­lun­gen gebie­ten eine neue Sicht auf den Men­schen. Die Erde ist nicht mehr der Mit­tel­punkt der Welt, son­dern dreht sich um die Son­ne. Der Mensch steht im Zen­trum der geis­ti­gen Welt und wird als Maß aller Din­ge gese­hen.

Die Har­mo­nie des Gol­de­nen Schnit­tes wird in Leo­nar­do da Vin­cis Stu­die des mensch­li­chen Kör­pers deut­lich. Sie passt per­fekt zu den Pro­por­tio­nen des Bata­via-Por­tals. Gra­fik: Bür­ger­stif­tung

Das Pen­ta­gramm ist zum Sym­bol des Men­schen gewor­den. In der größt­mög­li­chen Anzahl – näm­lich zehn­fach – ist dar­in der Gol­de­ne Schnitt ent­hal­ten. Jede der fünf Sei­ten wird durch die bei­den ande­ren zwei­mal im Gol­de­nen Schnitt geteilt.

Bis heu­te gilt der vitru­via­ni­sche Mensch als Sym­bol für die Ästhe­tik der Renais­sance. Der voll­kom­me­ne Mensch stellt ein leben­des Pen­ta­gramm dar. Mit aus­ge­brei­te­ten Armen bil­det er, auf der Kör­per­ebe­ne, den Fünf­stern (alles Irdi­sche umfas­send) und auf bei­den Füßen ste­hend (fest auf der Erde ver­an­kert) und erho­be­nen Haup­tes (das Ewi­ge schau­end) als Zei­chen dafür, dass er beru­fen ist, die ewi­ge Ord­nung auf Erden zu voll­zie­hen.

Leo­nar­do bestimm­te in sei­nen Aus­füh­run­gen aus­führ­lich Maße und Pro­por­tio­nen vom mensch­li­chen Kör­per. Die ein­zig­ar­ti­ge Har­mo­nie des Gol­de­nen Schnit­tes wird in sei­ner Zeich­nung deut­lich. Auch die Über­tra­gung der Dar­stel­lung auf das Bata­via-Por­tal unter­streicht die beson­de­re Kon­struk­ti­on des 1628 ange­fer­tig­ten Por­tals. Grö­ße und Pro­por­tio­nen stim­men.

Eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung der Por­tal-Kon­struk­ti­on ist auch im Bent­hei­mer Jahr­buch 2021 zu fin­den.

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