Leon­hard Chris­toph Sturm (1719): Topo­lo­gi­sche Anwei­sung Zu der heu­ti­gen Geo­gra­phia Von Teutsch­land


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Topo­lo­gi­sche Anwei­sung zu der heu­ti­gen Geo­gra­phia von Teutsch­land / in Frag und Ant­wort sol­cher­ge­stalt vor­ge­stellt / daß sie erst­lich zu kurt­zer Unter­wei­sung der Jugend / zwey­tens auch zu weit­läuff­ti­gern Unterrricht bey dem Zei­tung- und Geschicht-Lesen / drit­tens / wegen gebrauch­ter bestän­di­gen und leich­ten Metho­de, zu leich­ter Ein­druckung in die Ima­gi­na­ti­on und Gedächt­nüß die­nen kan.

Als ein SPECIMEN einer vor­ha­ben­den Anwei­sung zu der gant­zen Geo­gra­phie her­aus­ge­ge­ben
von
Leon­hard Chris­toph Sturm.

Ver­legt in Ham­burg
Von Ben­ja­min Schil­lers seel. Witt­we und Johann Chris­toph Kiß­ner. Anno 1719.
396 Sei­ten.


Leon­hard Chris­toph Sturm (* 5.11. 1669 in Alt­dorf bei Nürn­berg, † 6.6. 1719 in Blan­ken­burg im Harz) ent­stamm­te einer gelehr­ten Fami­lie. Nach dem Abitur stu­dier­te er von 1683 bis 1688 Theo­lo­gie und Mathe­ma­tik (u. A. bei sei­nem Vater). Stu­di­en­rei­sen führ­ten ihn nach Dres­den, Ber­lin und Wol­fen­büt­tel, wo er 1694 an der Rit­ter­aka­de­mie eine Pro­fes­sur für Mathe­ma­tik annahm. 1695 hei­ra­te­te er Lud­mil­la Katha­ri­na, die Toch­ter eines Schul­rek­tors aus Qued­lin­burg. Die Fol­ge­jah­re zei­gen ihn in Wech­seln­den Tätig­kei­ten, etwa als Ober­bau­di­rek­tor in Schwe­rin. Dort hielt er reli­giö­se Ver­samm­lun­gen in sei­nem Hau­se ab, die er als Got­tes­diens­te bezeich­ne­te. Obwohl er selbst als Pie­tist gehl­ten konn­te, zog er pole­misch gegen die From­men ins Fel­de. Auch sei­ne Stel­lung als Gelehr­ter war gezeich­net von Wider­sprü­chen, die er aber nicht zuge­ben konn­te. So trüb­ten viel­fäl­ti­ge Strei­te­rei­en und eine star­ke Bes­ser­wis­se­rei vie­le sei­ner Jah­re. Nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau hei­ra­te­te er Jus­ti­ne Sibyl­le Röten­beck, mit wel­cher er sich in reli­giö­sen Din­gen gut ver­stand. Aus bei­den Ehen gin­gen ins­ge­samt sechs Kin­der her­vor. Er ver­faß­te zahl­rei­che Schrif­ten zu ver­schie­de­nen Wis­sens­ge­bie­ten (Theo­lo­gie, Archi­tek­tur­theo­rie, Rei­se­be­rich­te, pra­xis­be­zo­ge­ne Schul­bü­cher, meh­re­re Schrif­ten zum Festungs‑, Müh­len- und Was­ser­bau, in denen er Erfah­run­gen von zwei Stu­di­en­rei­sen nach Frank­reich (1699) und in die Nie­der­lan­de (1697) ver­ar­bei­te­te. Sie bele­gen, daß er einer der letz­ten baro­cken Uni­ver­sal­ge­lehr­ten gewe­sen ist.

Der Autor fin­det selbst, daß sein Buch­ti­tel ziem­lich lang gera­ten ist, aber er ent­schul­digt sich mit einem Zeit-Argu­ment: “Obwohl der Titul die­ses Büch­leins ziem­lich weit­läuf­tig ist”, so war die­se Aus­führ­lich­keit doch nötig, denn ich hat­te vor, “den Käuf­fer / der etwa […] die Zeit nicht hat / die Vor­re­de durch­zu­le­sen / vor dem Kauff / bey­läuf­fig zu unter­rich­ten / was er in dem Buche zu suchen habe; wel­ches der eigent­li­che Nut­zen und End­zweck der TITUL ist. Mit weni­gern Wor­ten aber habe ich die Sache zu fas­sen nicht ver­mocht …” Ich nen­ne die­se eine TOPOLOGISCHE Anwei­sung / weil sie alle Städ­te / Städt­lein / auch aus­neh­mend gute Marckt-Fle­cken / auch so gar eini­ge / wie­wohl sehr weni­ge / allein gele­ge­ne Schlös­ser / so viel ich aus zuver­lä­ßi­gen Nach­richt / gewust habe / nach ihren gewöhn­li­chen Nah­men / SITUATION und Beschaf­fen­heit bemercket / in den Land-CAR­TEN leicht zu fin­den / auch wohl / wenn sie dar­in­nen feh­len / hin­ein zu set­zen Anlei­tung gie­bet / wei­ter aber nichts dazu thut / damit unnö­thi­ge Weit­läuff­tig­keit und alle CONFUSION der Wis­sen­schaff­ten / so viel mög­lich / ver­mie­den wer­de.”

In der Vor­re­de zu sei­ner “Topo­lo­gi­schen Anwei­sung” betont er, daß ihm sehr an Gründ­lich­keit gele­gen war. Ich ver­si­che­re, daß “ich nicht einen eini­gen [gemeint ist: ein­zi­gen] Ort geset­zet habe / den ich nicht in allen PROBATEN Land-Car­ten, so ich zur Hand hat­te / nach­ge­su­chet / her­nach in den übri­gen Büchern auf­ge­schla­gen und würck­lich als eine Stadt / Städt­gen oder Fle­cken / beschrie­ben gefun­den hät­te …”. Er ergänzt: “wie ich auch durch den grös­ses­ten Theil Teutsch­lan­des zu rei­sen Gele­gen­heit gehabt habe / sind mir die dabey gema­che­ten OBSERVATIONES auch nicht wenig zu stat­ten gekom­men.”

Um nicht nur eine Auf­lis­tung zu bie­ten, son­dern auch einen gedächt­nis­för­dern­den Effekt her­vor­zu­ru­fen (erstaun­lich, mne­mo­tech­ni­che Ansät­ze im frü­hen 17. Jahr­hun­dert!)
Ein aus­führ­li­ches alpha­be­ti­sches Sach­re­gis­ter unter­streicht den Wunsch des Autors, ein wirk­lich all­tags­taug­li­ches Kom­pen­di­um anzu­bie­ten.

Für die Graf­schaft Bent­heim kommt die 10. Abtei­lung: “Von dem West­fä­li­schen Kreis” in Fra­ge. Wie bei allen ande­ren Kapi­teln stellt der Autor zunächst die Fra­ge nach der Flä­che, um die es hier geht:
“Was wird unter die­sem Krayß begrif­fen? Dann fol­gen Ein­zel­be­schrei­bun­gen.

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[…]

Die zehen­de Abt­hei­lung

Von dem West­phä­li­schen Krayß.

I. Was wird unter die­sem Krayß begrif­fen?

Vor die­sem erstreck­te er sich sehr weit in die Nie­der­lan­de hin­ein / indem er die Stiff­te LÜTTICH und UTRECHT noch unter sich hat­te. Jet­zo aber hält er in sich: Erst­lich drey gros­se Bißt­hü­mer / MÜNSTER, OSNABRÜCK und PATERBORN, dane­ben noch vier freye Reichs-Abt­he­yen: CORBAY, ESSEN, WENDEN und HEERFORTEN [Her­ford]. Her­nach drey Fürs­t­ent­hü­mer / das Her­zog­t­hum West­pha­len / das Für-

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stent­hum Ost­fi­reß­land / wel­ches vor die­sem eine Graff­schafft genen­net wor­den. Wei­ter drey­ze­he­hen [sic!] Graff­schaff­ten 0LDENBURG, DELMENHORST, DIEPHOLD, SCHAUENBURG, LIPPE, RAVENSBERG, TEKLENBURG, RIETBERG, MARCK, REKLINGHAUSSEN, STEINFURT, BENTHEM und LINGEN, zuletzt eine Reichs­stadt Dort­mund.

2. Was vor Land-Car­ten hat man davon?

Den gan­zen Kray0 hat man von F. WITT, R. SCHENCK und C ALLARD unter dem TITUL: TOTIUS WESTPHALIAE DESCRIPTIO, unter dem TITUL des West­phä­li­schen Kray­ses aber von BLAEU, I. DANKERTS und IALLOT, Beson­ders hat man her­nach das Her­zog­t­hum West­pha­len von IOH. GIGANTE durch BLAU, und IAILLOT. Das BISTHUM MÜNSTER von GIGANTE durch BLAU, und von IALTOT in zwey CARTEN, auch ohne Nah­men / eines AUCTORIS zu PARIS ANNO 1692. in zwey CARTEN. Die Bist­hü­mer Müns­ter und OSNABRÜCK samt dabey gele­ge­nen Graff­schaff­ten von I. DANCKERS. Das BISTHUHM OSNABRÜCK beson­ders von GIGANTE bey BLAU. das PATERBORN. Von eben dem­sel­bi­gen / OST-FRIESSLAND von UBBONE EMMIO bey BLAU, Die Graff­schaff­ten BENTHEIM und STEINFURTH, von IOH. WESTENBERG durch BLAU. Sons­ten habe ich nichts zu sehen bekom­men.

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3. Was vor Nach­barn hat die­ser Krayß?

Gegen Nord stös­set er an die Nord-See / Nord-Ost beg­ränt­zet die Weser und das Her­zog­t­hum BREMEN, gegen Mor­gen das Braun­schwei­gi­sche gegen SÜD-OST und SÜD der Ober-Rhei­ni­sche / gegen SUD-WEST, der Nie­der-Rhei­ni­sche Krayß / gegen Wes­ten die ver­ei­nig­ten Hol­län­di­sche PROVINTZEN ZUPTPHEN, Ober-ISSEL und GRÖNINGEN.

4. Was lauf­fen vor berühm­te Flüs­se durch den­sel­bi­gen?

Die WESER läuf­fet nahe an der Ost-Gränt­ze einen Strich durch / die EMS gehet durch MÜNSTER und Ost-Frieß­land. Durch das Her­zog­t­hum West­pha­len und di [sic!] Graff­schafft Marck / flies­sen neben ein­an­der / nach dem RHEIN zu die LIPPE, die EMSER und die RUHR. Die DUMEL strei­chet an dem Her­zog­t­hum West­pha­len und dem Stifft PATERBORN hin in die Weser. Die vECHT flies­set durch die Graff­schafft BENTHEIM nach der sÜD­ER-sEE. In die Weser lauf­fen fer­ner wei­ter hin­un­ter die OWE und die HUNTE. In die EMS lauf­fet von Mor­gen her die HASE.

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Die übri­gen sind alles klei­ne Was­ser / deren eini­ge bey denen Oer­tern vor­kom­men wer­den.

5. Wie wol­len wir nun die Eint­hei­lung machen / die merck­wür­digs­ten Oer­ter ordent­lich auf zu suchen?

Wir müs­sen erst das Obert­heil von dem BISTHUM MÜNSTER samt der Graff­schafft STEINFORTH, zwey­tens das Untert­heil des­sel­ben samt den Graff­schaff­ten BENTHEIM und LINGEN, drid­tens das Bist­hum OSNABRÜCK  samt den Graff­schaff­ten TECKLENBURG, Engern und Schau­en­burg durch gehen. End­lich die übri­gen Land­schaff­ten von NORDEN durch Osten her­um eine nach der andern beschau­en.

6. Was habe ich nun vor Oer­ter in dem Ober-Theil von MÜNSTER anzu­mercken?

I. MUNSTER die Haupt-Stadt an einem Flüß­gen AADA ein gros­ser und von Natur ziem­lich / von Kunst mäßig befes­tig­ter Ort / mit einer wohl ange­leg­ten / aber schlecht aus­ge­bau­ten CITADELLE. Das grös­ses­te Theil der Stadt / wel­che in dem

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HAN­SEE-Bund ste­het und gros­se Frey­hei­ten hat / ist der AUGSPURGISCHEN CONFESSION zugethan / doch ist inner und aus­ser­halb der Stadt alles vol­ler Klös­ter.

2. GREVEÄN ein klein schlecht Städt­lein an der EMS, von MÜNSTER gegen Nord 3. Teligt ein fei­nes Städt­lein und Paß an der EMS, West­warts von Müns­ter. 4. WOLBECK ein Städt­lein -/ wovon der gant­ze Krayß / wor­in­nen itzt etzehl­te Oer­ter lie­gen / der WALBECKISCHE genen­net wird eine Mei­le von MÜNSTER. und auch von TELLIGT. 5. Alen ein Städt­lein in eben dem Krayß Süd­warts an der WERSE. 6. SASSENBERG und 7,

WARENDORFF an der EMS, Stadt­lein in dem SASSENBERGISCHEN. 8. STROMBERG Städt­lein und Schloß in der STROMBERGISCHEN Burg­graff­schafft. 9. WERNE ander Süd-Gränt­ze das Haupt des WERNISCHEN DISTRICTS / 10. DULMEN und 11. HALTEREN an Borcken tine Stadt 13. GEMEN Städt­lein und Schloß bey­de an der AA 14. STADTLOON 15. VREEDEN bey­de an dem BER­KEL-Fluß und 16. Aahuß an einem klei­nen Was­ser / das auch die AA heis­set / lau­ter Städt­lein in dem Ahu­si­schen DISTRICT.

17. COESFELD in dem BER­KEL-Fluß 3. klei­ne Mei­len ober­halb STADTLOON, eine fei­ne auch in dem HAN­SEE-Bund begrif­fe­ne Stadt in dem HORSTMARER DISTRICT.

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Die Bischöf­fe RESIDEREN hier mehr als in Müns­ter.

18. Hoorst­mar Städt­lein und Schloß 19. Scop­ping an der VECHTE 20. NIENBERG an der Dun­ckel und 21. OCHTRUP an einem Wald der HARST gen­ant nahe an dem BENTHEIMISCHEN.

22. STEINFURTH Stadt und Schloß an einem Fluß der auch die AA genen­net wird / die eini­ge / und das Haupt in der Graff­schafft Stein­furth / wel­che sich doch nu 4. Mei­le von sUD gen NORD und auf ein und eine hal­be biß 2. von OST gegen WEST erstre­cket / fol­gen noch in dem DISTRICT BEUERGERN

23. Beu­er­gern Städt­lein und Schloß im Gebür­ge und 24. RHENEN an der EMS, dar­über eine neue künst­li­che hölt­zer­ne Brü­cke gehet.

7. Was kom­men vor Oer­ter bey dem Untern-Stifft MÜNSTER vor?

I. BENTHEIM ein artig Städt­lein und schö­nes Schloß auf einem Berg / alda man aus Teutsch­land kom­men­de am ers­ten die Hol­län­di­sche Art und Rei­nig­keit in den Häu­sern fin­det.

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2. SCHUTTORFF 3. NORTHORN und 4. NIENHUSZ / drey fei­ne Städt­lein an der VECHTE.

II. In der Graff­schafft Lin­gen.

5. LINGEN Städt­lein und Schloß mit einer ziem­li­chen FORTIFICATION, gehö­ret samt der Graff­schafft aus Königs WILLIAMS als Print­zens von URANIEN Erb­schafft dem König in Preus­sen.

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Schluß-Erin­ne­rung

An den geneig­ten Leser.

Also so habe ich in die­ser kur­zen Beschrei­bung 2739. merck­wür­di­ge Nah­men in Teutsch­land zusammengebracht/ wor­un­ter zum wenigs­ten drit­te­halb tau­send Städ­te oder Fle­cken sind / die ich alle sol­cher­ge­stalt anzu­füh­ren bemü­het gewe­sen / daß ich wenigs­tens aus einem ange­se­hen AUCTORE und / einer guten CARTE, wel­che bey­de ich so viel mir mög­lich mit gutem JUDICIO gebrau­chet / davon Grund dar­le­gen kan. Dem unge­ach­tet beschei­de ich mich gern / daß noch vie­le Feh­ler und Män­gel in die­sem Werck­gen sich fin­den wer­den / indem von man­chen Ort mag berich­tet seyn / was sich anders daselbst ver­hält und viel Fle­cken / merck­wür­di­ge Schlös­ser und Städt­gen / wie auch nahm­haff­te Flüs­se und Anmerckens-wür­di­ge Ber­ge / Wäl­der und Seen mögen aus­ge­las­sen seyn / wie ich selbst unter­schied­li­che weiß / die ich in mei­ner Jugend gese­hen / davon ich mir doch nichts zu set­zen getrau­et / weil ich sie nicht mit rech­ten Ver­stand oder Fleiß gese­hen / und in AUCTORIBUS und Land-Car­ten nichts davon habe fin­den kön-

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nen / Deß­we­gen ersucht hie­mit den geneig­ten Leser/ wenn er etwas Zuver­lä­ßi­ges deß­we­gen zu erin­nern hat / daß er so geneigt seyn / und durch ADRESSE an den Herrn Ver­le­ger mit so weni­gen Kos­ten als mög­lich ist / inson­der­heit etwa durch Gele­gen­heit der Franck­fur­ter und Leip­zi­ger Mes­sen sol­ches mich benach­rich­ti­gen wol­le / damit bey etwa vor­fal­len­der Wider-Auf­la­ge des Trac­tät­gens sol­ches kön­ne ange­mercket wer­den / wel­ches ich mit schul­digs­ter Danck­bar­keit erken­nen und rüh­men wer­de. Der grund­gü­tig GOtt wol­le nur von unserm lie­ben Vater­land alle Ver­hee­rung und Ver­wüs­tung / wel­che man ja mit Sün­den schon längst ver­die­net hät­te / in Gna­den abwen­den / hin­ge­gen die Hertzen der Gros­sen von Kriegs-Gedan­cken und unge­rech­ten so wohl Ver­schwen­dung als Geitz / auf Gedan­cken des Frie­dens und Ver­bes­se­rung der Küns­te und Com­mer­ci­en rich­ten / damit die Städ­te mehr und mehr erbau­et / erwei­tert und in Flor gebracht wer­den.

ENDE