Udo Mar­ka­nus: Die Grä­finn Ger­trud von Bent­heim


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6. Auf der Burg Bent­heim.

Des Chris­ten Stand
Ist hier also bewandt:
Es muß EIN Kreuz das and­re Kreuz ver­ja­gen
So ging es Dem,
Der unser Kreuz getra­gen
Am Kreu­zes­stamm;
Es ist kein Kin­der­tand
Des Chris­ten Stand.

Micha­el Kon­gehl. [1]

An dem­sel­ben ver­häng­niß­vol­len 18. August, an wel­chem der Graf von Bent­heim in die Schlin­gen jesui­ti­scher List gefal­len war, saß sei­ne Gat­tin mit ihrer treu­en Chris­ti­ne in einem Eck­zim­mer der weit­läu­fi­gen Wohn­räu­me des Schlos­ses zu Bent­heim trau­lich zusam­men. Letz­te­re war ihr, beson­ders jetzt in ihrer Ver­ein­sa­mung, nicht nur eine brauch­ba­re Stüt­ze, son­dern eine wah­re Freun­dinn gewor­den. Der Glau­be war das eini­gen­de Band ihrer Her­zen.
Aber es lag jetzt eine düst­re Wol­ke auf ihrem Gemüth, die zu der herr­li­chen Umge­bung und dem schö­nen,
son­nen­hel­len Tage wenig zu pas­sen schien.

Es war einer jener herr­li­chen Tage, wo die Köni­gin der Schöp­fung in ihrer gan­zen Pracht und Schö­ne an dem wol­ken­lo­sen, azur­nen Him­mels­ge­wöl­be unge­hin­dert ihre Bahn zog und die gan­ze Fül­le ihres Glan­zes weit­hin über die Flu­ren goß, wo alles Leben­di­ge in Flur und Feld, in Wie­se und Wald bis zu der Spin­ne inmit­ten ihres Net­zes und der in der Lust spie­len­den Mücke ihrer war­men Strah­len sich freu­te, und alle Blät­ter der

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[1] Micha­el Kon­gehl (* 19. März 1646 in Kreuz­burg, Ost­preu­ßen; † 1. Novem­ber 1710 in Königs­berg), ein deut­scher Dichter/Dramatiker.

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Bäu­me und alle Kel­che der Blu­men bis zu dem ein­sa­men Ver­giß­mein­nicht im küh­len Grun­de dank­bar zu ihr empor­schau­ten. Auch die alte Burg erscheint heu­te durch die hell beleuch­te­ten Flä­chen und die kräf­ti­gen Schat­ten der Thür­me, Erker und Mau­er­vor­sprün­ge in ihrer gan­zen Schön­heit. Die rie­sen­ho­he Umfas­sungs­mau­er aus grau­em Sand­stein mit ihren Schieß­schar­ten und Eckt­hür­men, ins­be­son­de­re der kreis­run­de mäch­ti­ge, aus der Tie­fe empor­stei­gen­de Thurm gegen Nor­den und der gegen­über­lie­gen­de vier­ecki­ge, mit vier klei­ne­ren Eckt­hürm­chen geschmück­te Haupt­thurm, von dem die gräf­li­che Fah­ne weht und die mäch­ti­ge von Hans Wie­demann gego­ße­ne Bron­ce-Kano­ne mit der Zuschrift:

Rüme dat Veld, dat rade ich,
Wen ich spreck, se hoit dich! *)

dro­hend das Thal hin­un­ter­schaut; zwi­schen bei­den schüt­zen­den Thür­men das weit­läu­fi­ge, die Mau­er über­ra­gen­de Wohn­ge­bäu­de mit der unab­seh­ba­ren Fens­ter­rei­he, vor deren gan­zer Län­ge eine Gal­le­rie her­läuft, sodann die dop­pel­ten schö­nen Burg­tho­re, zumal das ers­te mit dem gräf­lich Bentheim’schen Wap­pen, den 3 gold­nen Ster­nen im blau­en Schräg­bal­ken, geschmückt, dahin­ter der Burg­hof und dar­auf das freund­lich grü­ßen­de Schloß­ge­bäu­de mit spit­zem Gie­bel und gothi­schen Fens­tern, in dem der Rit­ter­saal, die Biblio­thek, die Rüst­kam­mer und die Burg­ka­pel­le sich befin­den — das Alles auf einem hohen, weit die unab­seh­ba­re Ebe­ne über­ra­gen­den, völ­lig iso­lirt ste­hen­den Fel­sen, von dem tie­fen Blau des Him­mels hell sich abhe­bend und rings von dem dunk­len Grün alter Buchen und Eichen ein­ge­faßt — in der That, ein impo­san­tes, mäch­tig erhe­ben­des Bild! — ein stum­mer Zeu­ge

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[*] Räu­me das Feld, das rath” ich, Wenn ich spre­che, so hüt* Dich!

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von den Tha­ten und dem Geist eines wür­di­gen Geschlechts, das seit Jahr­hun­der­ten hier gewal­tet.

Was die Lage der Burg betrifft, so hät­te der römi­sche Feld­herr Dru­sus, wel­chen die Sage als Grün­der
bezeich­net, kei­nen schö­ne­ren Punkt in den Lan­den zwi­schen der Ems und dem Rhein wäh­len kön­nen. Unbe­schreib­lich ist der Blick von der Platt­form des Haupt­thurms in die wei­te Run­de, deren letz­te Kreis­li­nie in den blau­en Dunst des Him­mels ver­schwimmt. Ist man die fins­te­re Wen­del­trep­pe im Thurm hin­auf­ge­stie­gen bis auf das fla­che Dach und tritt nun her­vor in eine Oeff­nung der Zin­nen, welch’ ein groß­ar­ti­ges und doch so lieb­li­ches Pan­ora­ma! Nach allen Him­mels­ge­gen­den hin schweift der Blick unge­hin­dert bis in die unend­li­che Fer­ne und sieht sich nicht satt an dem herr­li­chen Anblick. Tief unter der Burg — des Städt­chens freund­li­che Häu­ser, wel­che schutz­su­chend wie die Küch­lein unter die Flü­gel der Hen­ne sich um die Mau­ern der Burg drän­gen, wei­ter im Umkreis die unzäh­li­gen Bau­ern­ge­höf­te und ein­zel­nen Hüt­ten und Häu­ser, die mit hohem Gie­bel aus dunk­lem Grün freund­lich her­vor­grü­ßen, die wogen­den Fel­der, die saf­ti­gen Wie­sen, die grü­nen Hecken, die dunk­len Wal­dun­gen, die 3 Stun­den im Umfang, doch nur einem Busche ähn­lich sehn, in der Fer­ne die Thür­me der Städ­te, die dem Auge einen Punkt der Ruhe und dem Her­zen einen Zug nach Oben gewäh­ren — das Gan­ze ein reich­ge­stick­ter Tep­pich, schim­mernd in wech­seln­den Far­ben­tö­nen und in den schöns­ten Lini­en gezeich­net. Wahr­lich! da möch­te man sagen: “Hier ist gut sein; hier laßt uns Hüt­ten baun.”

Ja, man soll­te mei­nen, die Bewoh­ner die­ses Schlos­ses müß­ten glück­li­che Leu­te sein. Aber wir wis­sen schon, welch’ ein dro­hen­des Unge­wit­ter sich über dem bis­her so

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glück­li­chen Leben der gräf­li­chen Fami­lie zu ent­la­den begann.

Ohne eine Ahnung davon zu haben, saßen die bei­den oben Genann­ten bei ein­an­der.

“Wollt’ ich doch, nahm die Grä­finn das Wort, der Graf wäre wie­der bei uns! Gewiß weiß er noch nichts von dem Tode der Mut­ter; wie Man­ches wäre noch zu bespre­chen, denn er wird doch unbe­denk­lich der Beer­di­gung in Schüt­torf bei­woh­nen und sei­ner Soh­nes­pflicht genü­gen. Auch hat er mir bestimmt ver­spro­chen, heu­te wie­der zurück­zu­kom­men. Ich bin wirk­lich besorgt um ihn.”

“Aengs­tigt Euch nicht, gnä­di­ge Frau, erwi­der­te Christ­me, gewiß hält ihn die Pflicht in dem Trau­er­hau­se zu Stein­furt, wo wich­ti­ge Fami­li­en­an­ge­le­gen­hei­ten geord­net wer­den müs­sen, län­ger auf, als er gedacht; und zu ängst­li­cher Besorg­niß ist wirk­lich kein Grund; was soll­te ihm denn zusto­ßen?”

“Du willst mich trös­ten, gutes Kind; aber ich muß Dir gestehn, mir ist ban­ge, ohne ihn in die­sem wei­ten Schlos­se allein zu sein. Die Intri­guen der Stein­fur­ter, die mich und mei­ne Kin­der für une­ben­bür­tig erklärt wis­sen und unse­re Ehe tren­nen woll­ten, läßt nichts Gutes hof­fen. Und offen gesagt, unser neu­er Kanz­ler will mir auch nicht gefal­len; der geht mir so scheu aus dem Wege, als ob es bei mir nicht geheu­er wäre. Was denkst oder weißt Du von ihm?”

“Weil Ew. Gna­den mich so offen fra­gen, so will ich auch offen ant­wor­ten. Ich glau­be, wir müs­sen vor ihm auf uns­rer Hut sein. Man sagt, er ste­he mit dem Herrn von Rhe­da zu Brand­lecht im gehei­men Bun­de und wird gewiß auch wie die­ser ein Werk­zeug der Jesui­ten sein. Auch erzählt mir das Kam­mer­mäd­chen, daß

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es manch­mal Mor­gens aus sei­nem Zim­mer noch stark nach Weih­rauch rie­che.”

“Mög­lich wär’s, mein­te die Grä­fin, daß unter sei­nen Die­nern ein ver­kapp­ter Pries­ter ste­cke, der die Mes­se in unser Schloß ein­schmug­geln soll. Die­sen Schlei­chern ist Alles zuzu­traun. Wer sagt uns, lie­bes Kind, daß siei nicht dar­auf aus sind, mich von mei­nem Gat­ten zu tren­nen, um ihn allein beein­flus­sen zu kön­nen, dann fürch­te ich Schlim­mes von sei­ner Arg­lo­sig­keit und Nach­gie­big­keit.

“Aber, Ew. Gna­den, war­um gleich Schlim­mes den­ken? Hat nicht noch ein Ande­rer die Zügel in der Hand, und wenn sie’s auf Klügs­te fan­gen an, so geht Er doch ein’ and­re Bahn, es steht in Sei­nen Hän­den.”

“Du hast Recht, treue See­le, wir wol­len dem Herrn uns­re Wege befeh­len. Er wird uns hel­fen oder doch uns stark machen, Alles zu tra­gen, was kom­men möch­te. “Wenn nur erst der Graf wie­der hier wäre! Er ist treu und lieb und gut zu mir, hat mir’s auch gern zuge­stan­den, daß, wenn Gott mich eines Söhn­leins gene­sen lie­ße, der­sel­be dafür, daß sein älte­rer Bru­der den Namen des Bischofs Chris­toph Bern­hard emp­fan­gen, nun von den Gene­ral­staa­ten, wel­che Pathen­schaft und Schutz über­neh­men sol­len, den Namen Sta­ti­us und dazu, um einen Schritt der Ver­söh­nung zu thun, von dem Stein­fur­ter Oheim den Namen Phil­ip­pus erhal­ten sol­le. Du siehst, wie gut er zu mir ist, und wie gern er  mei­ne Wün­sche erfüllt.”

“Gnä­di­ge Frau, ich fin­de, daß eine Tren­nung von einem gelieb­ten Wesen auch ihr Gutes hat. Man lernt den Werth des Ande­ren um so mehr schät­zen, die Sehn­sucht wird leb­haft­cr, und die Lie­be rei­ner,. inni­ger, geis­ti­ger.”

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“Man hört, Du sprichst aus Erfah­rung. Aber “wün­schest Du nicht auch, je eher je lie­ber mit Dei­nem Wil­helm für immer ver­ei­nigt zu sein?”

“Wie sollt’ ich nicht! Aber noch knüp­fen mich Lie­be und Dank zu sehr an Euch, und Euch in die­sen bedroh­ten Zei­ten ver­las­sen, das könnt’ ich nim­mer, auch weiß ich, mein Wil­helm denkt nicht anders.”

“Seg­ne Dich Gott dafür, Du treu­es Herz; aber glück­li­che Tage wer­den Dir bei mir nicht lachen.”

“Immer­hin, ant­wor­te­te Chris­ti­ne, ich den­ke, wir spre­chen mit Hiob: Haben wir Gutes emp­fan­gen von Gott, und soll­ten das Böse nicht auch anneh­men?”

Unter sol­chen Gesprä­chen, unter denen der Grä­finn Herz gefass­ter und beru­hig­ter wur­de, floß der Nach­mit­tag dahin. Schon begann die Son­ne sich nach Wes­ten zu nei­gen, und noch immer blieb der Graf aus, Schar­fen Bli­ckes schau­te der Thurm­wart bald von die­ser bald von jener Stel­le der Zin­nen in’s Thal hin­ab, umsonst, es zeig­te sich vom Gra­fen kei­ne Spur. Gegen Abend brach­ten Leu­te, die in der Hai­de die Schaa­fe gehü­tet, die beun­ru­hi­gen­de Nach­richt, daß die gan­ze Münster’sche Gren­ze mit Kriegs­volk umstellt wäre und ein­zel­ne Rei­ter­trupps das Land durch­streif­ten;
man habe sie deut­lich gesehn.

Trau­rig saß die Grä­fin am Eck­fens­ter ihres Zim­mers und schau­te, das Herz voll Sor­ge und Sehn sucht nach dem gelieb­ten Gat­ten unab­läs­sig in die Fer­ne, bis Thrä­nen den Blick umflor­ten und die her­ein­bre­chen­de Abend­däm­me­rung voll­ends ihre Schat­ten über die Flu­ren warf.

Am fol­gen­den Mor­gen traf Wil­helm ein mit der trau­ri­gen Bot­schaft von des Gra­fen Gefan­gen­schaft im Schloß zu Ahaus. Schwei­gend hat­te die Grä­finn

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aus Christina’s Mun­de die Kun­de ver­nom­men. Ihr Schmerz war zu tief, als daß er äußer­lich hät­te her­vor­bre­chen, und doch zu mäch­tig, als daß er andern Gefüh­len hät­te wei­chen kön­nen. Sie zog sich in die Schloß­ka­pel­le zurück, um im Gebet Trost und Kraft zu suchen. Als aber nach eini­gen Tagen die Nach­richt von des Gra­fen Ueber­tritt zur römi­schen Kir­che ein­traf und wie ein Don­ner­schlag das gan­ze Schloß und Länd­chen in höchs­te Bestür­zung ver­setz­te, da erwach­te der Grä­finn männ­li­cher Geist und gewann im Auf­blick zu Gott Muth und Kraft, die­sem Buben­stück lis­ti­ger Ver­füh­rung gegen­über.

Sofort ließ sie den neu­en Kanz­ler Wie­den­brück zu sich beschei­den. Als die­ser in vor­neh­mer, spa­ni­scher
Tracht mit dem leichten,über die Schul­ter fal­len­den Man­tel, der stei­fen Hals­krau­se, den engen Bein­klei­dern und spa­ni­schen Stie­feln her­ein­trat und sich tief ver­beu­gend und an der Thür har­rend nach der Grä­finn Begehr frag­te, sag­te die­se:

“Was ist das für ein beun­ru­hi­gen­des Gere­de, das im Gehei­men durch’s Schloß getra­gen wird?”

“Ich ver­ste­he Ew. Gna­den nicht, ant­wor­te­te Jener, weiß auch nichts von sol­chem Gere­de.”

“Wie? Ihr soll­tet nichts wis­sen von dem, was das gan­ze Schloß und Land in Auf­re­gung ver­setzt und Euren Herrn den Gra­fen und sei­ne Fami­lie so nahe angeht?”

“Ew. Gna­den ver­zeihn, daß ich mich in die­sem Punkt für völ­lig unkun­dig erklä­re, da ich bei mei­nen wich­ti­gen Geschäf­ten nicht Muße fin­de, nach dem Gere­de der Leu­te hin­zu­hö­ren.”

“So sag’ Du es ihm, lie­be Chris­ti­ne!”

“Nun so wis­set, nahm die­se das Wort und sah

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ihn dabei mit ihren hel­len, rei­nen und durch­drin­gen­den Augen an, man erzählt, daß es dem Bischof von Galen gelun­gen sei, unsern Herrn Gra­fen zum Abfall von dem lau­te­ren Evan­ge­li­um zur römi­schen Irr­leh­re zu bewe­gen.”

“Ich bin, erwi­der­te der Kanz­ler, aller­dings höch­lichst über­rascht von die­ser Neu­ig­keit; aber ver­wun­dern kann ich mich dar­über nicht, da der Herr Graf schon vor­dem eine ent­schie­de­ne Hin­nei­gung zu den Gebräu­chen und Leh­ren der katho­li­schen Mut­ter­kir­che gezeigt hat.”

“Ihr lügt, sag­te die Grä­finn. Nie­mals, so lan­ge ich ihn ken­ne, hat mein theu­rer Gemahl auch nur die lei­ses­te Sym­pa­thie für Eure Miß­bräu­che gezeigt. Er stand fest im evan­ge­li­schen Glau­ben und wür­de, wäre er hier geblie­ben, einen sol­chen Schritt nim­mer gethan haben. Es muß wun­der­bar zuge­gan­gen sein.”

“Ew. Gna­den mögen beden­ken, daß unse­re hei­li­ge Mut­ter­kir­che für Alle, die in ihr Bereich kom­men, eine merk­wür­di­ge Anzie­hungs­kraft besitzt, der kein auf­rich­ti­ges Gemüth auf die Dau­er wider­stehn kann.”

“Wahr­lich! Kanz­ler, unter­brach ihn die Grä­finn, Ihr sprecht wie ein Pater. Nun schweigt und geht an Eure Zah­len und Bücher; wir wis­sen genug” und damit wand­te sie sich von ihm und ging mit ihrer Chris­ti­ne in’s Neben­ge­mach.