W. F. Visch: Vor­wort


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Wir freu­en uns, Ihnen ein Schul­buch aus dem 1. Vier­tel des 19. Jahr­hun­derts zugäng­lich machen zu kön­nen, hier in sei­ner deut­schen Sprach­fas­sung (es erschien fast gleich­zei­tig auch in Nie­der­län­disch).


Ein­lei­tung

Es kam Anfang der 50er Jah­re gele­gent­lich vor, dass mei­ne Eltern und ich durch Wil­sum zu Ver­wand­ten in Rat­zel fiets­ten. Mein Vater mach­te mich dann jedes Mal auf­merk­sam auf den Wil­su­mer Pas­to­ren­gar­ten und des­sen Gar­ten­häus­chen. „Hier“, so sag­te mein Vater, „soll Wes­sel Fried­rich Visch sei­ne Geschich­te der Graf­schaft auf’s Papier gebracht haben.“

Ob das so stimmt, kann ich weder bestä­ti­gen noch ver­nei­nen. Viel­leicht hilft uns eine schrift­li­che Äuße­rung von Wes­sel Fried­rich Visch wei­ter: „Um mei­ne müßi­gen Stun­den wohl anzu­wen­den und Ande­ren nach mei­nen Kräf­ten nütz­lich zu sein“, habe er eine Geschich­te der Graf­schaft ver­fasst. So jeden­falls schreibt es Visch im Vor­wort zur Geschich­te der Graf­schaft Bent­heim.

Die­ses Büch­lein liegt nun vor mir.

For­mat: Post­kar­te, Dicke wie Zwie­back, 80 Sei­ten, Frak­tur, gedruckt 1821 in Lin­gen, als Schul­buch für die Graf­schaft zuge­las­sen und emp­foh­len ab 1820 durch den könig­li­chen Ober­kir­chen­rat. Unter die­ser Geneh­mi­gung mit Abstand von min­des­tens drei Dau­men­brei­ten lese ich:
„Nur die vom Ver­fas­ser eigen­hän­dig unter­schrie­be­ne [sic!] Exem­pla­re wer­den für ächt erkannt wer­den.“

Welch ein Glück für den der­zei­ti­gen Besit­zer! Sein Exem­plar hat unten rechts die – übri­gens deut­lich lese­ba­re – ver­bind­li­che Unter­schrift.

Kom­men wir zur Struk­tur der Dar­stel­lung!

W. F. Visch wählt die Form des Gesprächs zwi­schen einem Vater und sei­nen drei Kin­dern.

Er ver­weist im Vor­wort auf damals offen­bar aktu­el­le päd­ago­gisch-metho­di­sche Vor­bil­der, um sei­ne Ver­mitt­lung von Geschich­te als modern ein­stu­fen zu kön­nen („{…] weil durch sol­che Ein­klei­dung die Auf­merk­sam­keit der Jugend mehr gefe­ßelt […] wird“).

Wie sieht das aus?
Vater Gut­mann (Her­vor­he­bung durch Bau­mann), Sohn Hein­rich (12), Sohn Bern­hard (11), Toch­ter Johan­na (9) sind in einer ange­nom­me­nen Situa­ti­on fei­er­abends Gesprächs­part­ner. Kei­ne Aus­kunft dar­über, wo und ob Vater Gut­mann tags­über gear­bei­tet hat, war­um eine Frau – ich ver­mis­se Mut­ter Gut­mann – an kei­ner Stel­le erwähnt wird.

Spielt hier viel­leicht auch die bio­gra­fi­sche Tat­sa­che eine Rol­le, dass Wes­sel Fried­rich Visch schon sehr jung ver­wit­we­te und qua­si Allein­er­zie­hen­der sei­ner Kin­der war? Zumin­dest die­se Ver­mu­tung sei erlaubt.

Es wür­de den Rah­men die­ses Über­blicks voll­ends spren­gen, wenn ich nun auch noch Inhalts­an­ga­ben ein­zel­ner Kapi­tel lie­fern woll­te. Vie­les davon ist inzwi­schen ange­zwei­felt, längst wider­legt, man­ches auch als kon­fes­sio­nell gefärbt zur Sei­te gelegt wor­den.

Noch ein­mal zurück zur Struk­tur:

Der Gesprächs­an­teil des Vaters ist über­wäl­ti­gend. Die Fra­gen und Ein­wür­fe der Kin­der bil­den häu­fig nur die vom Leser längst erwar­te­te und viel­mehr erhoff­te Unter­bre­chung der Rede des all­wis­sen­den Vaters. Gleich­wohl stärkt die­se Unter­bre­chung letzt­lich umso mehr das klä­ren­de Schluss­wort des Vaters.

Beson­ders deut­lich wird die­ses patri­ar­cha­li­sche Ver­hal­tens­mus­ter dort, wo W. F. Visch den Vater Gut­mann über die rein his­to­ri­sche Unter­wei­sung hin­aus sei­nen Kin­dern auch emp­fiehlt, mora­li­sche bzw. lebens­prak­ti­sche Grund­sät­ze zu beher­zi­gen.

Damals (1820) wirbt Visch offen­bar aus gege­be­nem Anlass in die­sem Zusam­men­hang für die flä­chen­de­cken­de Imp­fung gegen die Blat­tern (Pocken).

Wie soll ich  Wes­sel Fried­rich Visch ein­ord­nen?

Er lässt kei­nen Zwei­fel dar­an, dass sein Vater­land die Graf­schaft ist.

Er schreibt die vor­lie­gen­de Geschich­te der Graf­schaft als Schul­buch, damit auch der damals her­an­wach­sen­den Gene­ra­ti­on die­ses Bewusst­sein ver­mit­telt wird. Heu­te nennt man die­se Per­spek­ti­ve Regio­na­lis­mus.

Wes­sel Fried­rich Visch lässt den älte­ren Sohn Hein­rich am Ende – für uns heu­te gera­de­zu pein­lich alt­klug – sagen: „Wir dan­ken dir herz­lich, Vater, für die­se ange­neh­me und lehr­rei­che Unter­wei­sung.“ Vater Gut­mann behält selbst­ver­ständ­lich das letz­te Wort: „Lass sie euch ermun­tern zur äch­ten Vater­lands­lie­be […] und zum Ver­trau­en auf den All­mäch­ti­gen in der Zukunft.“

Bad Bent­heim, im Juli 2014

Johan­nes Bau­mann

Anmer­kung: Alle Text­zi­ta­te in Ori­gi­nal­or­tho­gra­phie.

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