Sonne, H. D. A.:
Erdbeschreibung des Königreichs Hannover.
Sondershausen, Voigt, 1817.
Marmorierter Kart. d. Zt. mit goldgeprägtem Rückenschild
424 S. 8°. Mit einer gefalteten Tafel.
Aus der Vorrede:
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Vorrede.
Dieß Buch will ein Beytrag zur Verbreitung der Kenntniß des Vaterlandes seyn. Derselben bedarf aber jeder Bürger; denn jeder soll sein Vaterland lieben und wie kann er lieben, was er nicht kennt? Nun ist aber keine Kenntniß eines Landes ächt, die sich nicht auf Geschichte stützt; denn diese allein lehrt die wahre Beschaffenheit der jetzt bestehenden Ordnungen kennen und ohne diese Kenntniß ist kein richtiges Urtheil über Vorzüge und Fehler des Bestehenden möglich: alles menschliche ist ein Kind der Zeit; jede neue Theorie, welche wirklich eingrif [sic!] ins leben, mußte erst aus dem Leben hervorgegangen seyn. Darum kann aber dieses Buch nur ein Beytrag der vaterländischen Kenntniß heißen, denn es lehrt fast blos dessen Terrain kennen. Terrain-Kenntniß ist aber die erste Bedingung der vollendeteren Kenntniß; denn diese muß nochwendig erst vorangehen, wenn wir fähig werden wollen, uns in jede Zeit, jede Landschaft, jeden Stand als einen Zeitgenossen hineinzuversetzen; wodurch allein der sichere Tact erworben wird, den guten Historiker und Politiker von dem radottirenden* zu unterscheiden: in unseren theoriesüchtigen Zeiten wahrlich ein großer Gewinn! — […]
*[vgl. frz. radoter — “schwatzen”]
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Ab S. 346:
Abschnitt: III. Mediatisirte Standes-Herrschaften
A. Theil von Rheina-Wolbeck
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B. Die Grafschaft Bentheim.
von Ohne bis Coevorden 14 Stunden lang, 3—6 breit; hat zwar auch Sandboden, besonders in Ulsen, wo noch ungedämpfte Sandstüren sind; allein gemischt mit schwerem Lehm- und Steinboden und so fruchtbar an Roggen und Buchweizen, daß selbst in mäßigen Jahren Ausfuhr nach den Niederlanden statt findet. Die Gerichte Bentheim und Velthausen sind am beßten bebaut, in den übrigen sind noch viel wüste Gemeinheitsgründe und Mittel zum Steigen der Cultur und Bevölkerung, die etwa 23—24.000 M. beträgt. In Velthausen treffen wir die ersten Vehnen, die aber nicht mit der Planmäßigkeit und Dauer angelegt wurden, als die bremischen Moordörfer. Ist der Abzugs-Graben fertig, so wird die Narbe abgebrannt, der Buchweizen wächst einige Jahre vortrefflich und dann ist das Land auf lange Zeit ausgemergelt. Viehzucht ist ein Haupterwerb, durch Beschäler aus Holstein und Oldenburg ist die Pferdezucht veredelt
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worden. Das Verhältniß der verschiedenen Arten der hiesigen Viehzucht ergiebt eine Angabe im Neuen Westphälischen Magazin, nach welcher Bentheim 3681 Pferde, 21,465 Stück Rindvieh, 5155 Schweine, 54,893 Schaafe (größtentheils Haidschnucken), 12,747 Gänse und 12,128 Bienenstöcke hatte. Hier fehlt aber das Vieh der Hovesaten und Exemten, auch sorgte der Pflichtige gewiß für eine niedrige Angabe seines Viehstandes. Stallfütterung und Gemeinheitstheilungen sind noch unbekannt. Dann folgt Flachs- und Hanfbau, vereint mit vielem Spinnefleiß. Zu Schüttorf ist der beste Hanfbau, nur fehlt es an Bockemühlen und der Einw. klebt zu sehr am Herkommen. Das Garn und Leinwand wird oft bey durchziehenden Krämern gegen Zucker und Kaffee vertauscht; es fehlt noch an Leggeeinrichtungen. Bleichen sind zu Neuenhaus, Schüttorf und Gildehaus; doch wird viel Leinwand, besonders Drell, zugekauft. Das Land liegt zum Handel vortrefflich. Factoreyen für den Verkehr nach Holland sind zu Northorn, Hestrup, Ohne, Engden; keine Zölle erschwerten hier den freyen Verkehr, auch wenig Gesetze. Brücken und Wegedämme sind in Sande leicht zu erhalten; da, aber dieß den Communen obliegt, so geschieht es nicht. Chausseen fehlen ganz. Ins Ausland gehen die Produkte der Viehzucht, des Flachs-und Getraydebaues, das Wachs wird roh ausgeführt, weil keine Wachsbleiche vorhanden ist; Steine, Ziegel, Böttcher- und Wagen-Arbeit, Schiffe, Torf gehen nach Oberyssel. Bier- und Brantweinbrennereyen waren nach sonstiger Ordnung fast völlig frey, daher zahlreich und schlecht. Hauptflüsse sind: Vechte und Dinkel; erstere geht bey Ohne in die
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Grafschaft, schadet durch Überschwemmungen, daher auch ihr Lauf durch Durchstechen geregelter werden kann; trägt von Billke an, wo sie sich mit der Steinfurter Aa vereinigt, Holzflößen, dient von Northorn bis Zwoll zur Schiffarth, welche durch Schleusen und Ausräumung des Bettes bis Schüttorf erweitert werden kann und nützt außerdem sehr durch Wiesenwässerung. So auch die Dinkel, welche vor Uelsen vorbey durch die freye Herrlichkeit Lage fließt und nicht weit von Neuenhaus sich in die Vechte ergießt. Steinbrüche sind bey Bentheim und im Ksp. Gildehaus am Ysterberge. Die Steine dienen in den Niederlanden zu Grundsteinen statt der Eichenbalken, zu Leisten, selbst zu Bildhauerarbeit. Ziegelöfen sind zu Schüttorf, Lemke, am Ysterberge etc. und werden mit leichtem Torf gefeuert. Forsten sind durch schlechte Wirtschaft und Plaggenstechen herunter gekommen; der Bentheimer Wald und der Wengselm-Bruch sind noch die größten. 1/2 Stunde von Bentheim ist ein schwefelartiger Gesundbrunnen. Torf ist noch genug vorhanden, obgleich bey Schüttorf und Nordhorn schon ausgemoddert, Steinkohlen in B. Springhoek; Töpferthon bey Bentheim, eisenhaltiger Ohrsteln in Northorn und Bentheim; überhaupt sind hier die letzten Spitzen des Teutoburger Waldes. Fabriken sind ganz unbedeutend etc. aber das Hollandsgehen ist hier sehr bequem, da die Einwohner selbst ihre Lebensmittel mitnehmen können. Auch gehen Mädchen zum Vermiethen hin, auch Handwerker in Leinwand, Holz- und Stein-Arbeit. Allgemeine tägliche Nahrung ist Buchweizen, Kartoffeln und der berühmte Pfannekuchen aus ersterem. Wer arbeiten will, kömmt hier in Wohlstand. 1776 waren hier 3202 Reihe-
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Haüser, 596 Häuslingshäuser, 10,562 freye 12,247 schatzpfl. E. — Eine altdeutsche Grafenfamilie war hier seit dem 10. Jahrh. Durch letzte Töchter folgten 1122 Graf von Holland, 1224 Eberwin von Gütterswiek. Das Haus stieg, es folgte die Theilung zwischen Bentheim und Steinfurt und im 16. Jahrh. Vereinigung mit dem Hause Teklenburg und Steinfurt mit öfterem Wechsel der Grenzen. 1688 wurde Gr. Ernst Wilhelm katholisch, woher zum Theil die kathol. Kirchen der Grafschaft kommen. Graf Friedrich Carl verpfändete 1753 Bentheim an Hannover auf 30 J. mit aller Landeshoheit für 900,000 Rthlr. Er lebte als Privatmann in Paris. Daß die George auch hier große Verehrer fanden, zeigt das Beyspiel der Jungfer Ahlering zu Bentheim, welche 1761 ihr Vermögen dem König vermachte, wodurch das Seminar und Invaliden-Kasse gewann. l803 zahlte Bentheim-Steinfurt an Frankreich die Hälfte, und versprach die Hälfte nachzubezahlen. Hannover protestirte bey dem Reichstage, natürlich vergebens; Bentheim wurde restituirt und kam 1807 unter bergische Hoheit. 24. Nov. 1813 hörte die französische Herrschaft auf und Hannover trat wieder in Besitz. Der Graf klagte gegen Frankreich und foderte 4,247,200 Frcs., wofür derselbe 1816 800,000 Fr. in 12 Terminen und 510,000 Fr. Inscriptionen zu 75 pC. erhielt. Das Pfandschafts-Verhältniß ist aufgelößt, doch sind die Unterhandlungen mit den Grafen noch nicht beendigt: bis dahin bleibt die herkömmliche Subsidie von 13,000 Rthlr. holl. Im Befreyungs-Kriege focht Bentheim-Steinfurt schon unter der österreichischen Legion. Die königl. preußische Erhebung des Gra-
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fen in den Fürstenstand ist auch von Hannover anerkannt.
Die Eintheilung in Ober- und Niedergrafschaft hat keinen Bezug auf Administration, Rechte und Gebräuche; die obere Grafschaft und Emblichheim war immer Rcichslehen, die niedere Grafschaft, utrechtisch, dann oberysselisch, dann oranisches Lehen. Landstände waren nach voriger Einrichtung, der Prinz von Oranien wegen der bentheimischen Güter, die H. Brandlecht, Laer, Langer, Ravenshorst, Wolda, die Klöster Freenswegen und Witmarsen, die 3 Städte Schüttorf, Nordhorn und Neuenhaus, doch mit Einer Stimme. Bey dem allgemeinen Landtage hat Bentheim 1 Deputaten vom Ritterstande und 1 von den Städten. Das platte Land zerfällt in 5 Gerichte unter Voigten und Gohgrefen oder Richtern; Regierung, Hofgericht, Kammer- und Oberkirchenrath waren die obersten Behörden; den 10. Dec. 1813 wurden die sonstigen Appellationen ans Hofgericht an die Justizcanzley in Osnabrück gewiesen. Alle Justizbedienten kosten jährlich gegen 3900 Rthlr. Seit 1. Jan. 14 ist der vorige Justizgang wieder eingeführt; den 8. Febr. 15 wurden die Lehnvasallen citirt und fernere Allodificationen untersagt; 20 reformirte Prediger, zu Schüttorf, Emblichheim, Neuenhaus, Bentheim, Velthausen, Nordhorn, Uelsen je 2, und 4 katholische Geistliche zu Bentheim, Schüttorf, Emblichheim, Neuenhaus machen die Geistlichkeit aus. Die alten Abgaben waren gering, besonders in den Städten, die viel Befreyungen und doch Stadtschulden haben. Das Land zahlte von der Müdde* (256 R.) Saatland 30 Stüber holl., eine auf den Landtagen zu bestimmende Schatzung, welche eine gemischte Personen- und Viehsteuer war, aber die Hälfte war exemt! und 5 Ma-
*[Müdde — Hohlmaß für Trockenfrüchte]
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tricular-Schatzungen, jede zu 2500 holl. Gulden, wozu die Städte 1/10 beytrugen. Die Landaccise war auf 1000 holländ. Gulden fixirt. Die Bauern sind theils blutfrey, theils Leibeigene des Landesh„ der Stifter, des Adels und selbst der Privaten; doch sind die ersteren nicht wohlhabender als die letzteren bey ihren Diensten und Zahlungen. Grundlage der Finanzverfassung ist der Vertrag des Grafen mit den Ständen von 1680: alle Abgaben zusammen betragen gegen 42,700 holl. Rthlr. Späterhin kam eine Cordon-Steuer hinzu. Der jetzige gewöhnliche Beytrag zum Militär-Etat ist 17,300 Rthlr.; doch sind alle Finanzeinrichtungen nach dem Decrete von 1. Febr. 14 provisorisch. Von Emsbühren kömmt man ins
I. 2) Landgericht SCHÜTTORF; an der Vechte gut bebaut, sonst Bruch und Sand mit der Kaese-Venne. Kirchsp. Schüttorf und Ohne 62, wo die Fahrbrücke über die Vechte und der Wegdamm nach Bentheim ist. 9 B. Die Katholiken von Drevorden gehen nach Emsbühren und stehen auch unter dem dasigen Gohgericht. 250 Reihe-Häuser, 134 Häuslings‑H. 1082 freye 1176 Schatzpfl. — St. SCHÜTTORF, ältester Ort der Grafschaft, mit Ruinen der gräflichen Burg Altena, doch ist in der Capelle derselben noch katholischer Gottesdienst; 260 H. 1000 E. Das Rathhaus mit dem Laudesarchive ist ein altes weitläuftiges Gebäude. Der Ort ist aus Mangel an Industrie seit 50 J. immer tiefer gesunken, doch wohnen hier Pergamentmacher, die das sogenannte holländische Pergament liefern. Ein Reisender sah das ganze Stadtthor mit nassen Hauten behängt.
3) Gericht BENTHEIM. an der holländischen Grenze, am Moor in der Haar, wüste, übrigens gut bebaut, auch holzreich. Das Haus zu BENTHEIM ist
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uralte Residenz auf einem Berge, mit starken Mauern umgeben, noch ganz mit alten Burgformen und daneben neue Zusätze. Seit 1668 war hier eine münstersche Besatzung. Ans Schloß schließt sich das Flecken, 298 H. 1400 E. mit einem schönen Gebäude für die Landtage. Das Burgmannsgut Langen. Dorf und Mersch Gildehaus, theils auf einem Berge, theils zwischen den Steingruben, 216 H. 950 E. 8 B. Ueberhaupt 762 H. 1934 freye 2717 Schpfl. 8 B. Barel [sic!], welche die meisten Schaafe hat, ist ldf. Gut Ravenshorst, Bentheim-Steinfurt gehörig.
4. 5) Ger. NORTHORN, ist an der Vechte gut bebaut, hat aber nach Rheina zu die große Legder Wüste, nach Holland zu die Fortsetzung der Haar. Wegen Schlechtigkeit des Bodens zahlt der Bauer hier weniger Abgaben. 2 Kirchsp. N. und Brandlecht mit l ldtf. G.; zu Hesepe eine Kapelle, wie auch auf dem adl. G. Vischering. In der Frensdorfer Mark ist das Kloster oder Gotteshaus Freenswegen der weißen Augustiner mit einer schönen Kirche. Vor der Reformation war hier das gräfliche Familien-Begräbniß. 8 Jan. 14. wurde der Verkauf der zu diesem und dem folgenden Stifte gehörigen Pertinenzien für nichtig erklärt und diese für landeshrl. Kassen in Besitz genommen. Das adl. weltlich freyes Stift Wietmarschen, mit einer alten Kirche, veranlaßte wegen münsterscher Ansprüche sonst Streitigkeiten; 1152 als Benedictiner-Mönchs-Kloster gestiftet, im 13. Jahrh. ein adliges Nonnenkloster, seit 1675 ein freyweltliches Stift. Noch 9 Bauersch. Ueberhaupt 500 H. 1358 freye 1700 Pflichtige E. St. NORTHORN 190 H. 900 E. mit einer alten Burg, hat ein gutes Rathhaus, in dessen unterem Stock die Stadtschule ist. Die reformirte Kirche ist im Altendorfe vor der St., die ka-
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tholische Kapelle auf der Burg. Die Vechte theilt die St. und umgiebt sie. Hier ist die Niederlage von Holz und Steinen; bey der St. ist ein Krahn, die E. leben von Handlung und Schiffarth. Graf Bernhard I. hob den Ort.
6. 7) Ger. ULSEN ist an den kleinen Nebenflüssen der Vechte schön bebaut, hat aber in der Itterbecker und Wytener Mark eine gefährliche Sandstüre. Es ist das größte unter den Gerichten, mit vielen aber wenig benutzten Gemeinheiten. Im D. Ulsen 149 H. In 20 B. 55o H. 3700 E. Den 2. Apr. 14. wurde Ulsen mit dem Friedensgericht zu NEUENHAUS combinirt, welches die dritte St. der Grafschaft ist. Sie liegt am Dinkel; noch sind Reste von Wall und Graben zu sehen; 220 H. 1080 E. mit einem Rathhaus wie zu Northorn; einem landesherrlichen Amtshof, einst Residenz, jetzt sehr verfallen, doch mit einer katholischen Kapelle. Der Ort ist wohlhabend; hier ist ein Schiffszimmerwerft, dessen Arbeit auch nach Holland geht. Eine Burg Johanns des II. veranlaßte im 13. Jahrh. den Anbau des Orts, 1376 erhielt er Stadt-Rechte.
8) Ger. EMBLICHEIM, Emblicamp; leidet sehr durch Überschwemmungen, wogegen ein Kanal von der Eehe bis an die holländische Grenze helfen könnte: an der Vechte bebaut, sonst Moor und Sand; einst eine eigene Herrschaft des deutschen Reichs. Pfd. Emblicheim; mit 3 Gildschaften; eine 2te Kirche ist zu Laer für die Gildschaft Laerwald, mit Gräfl. Gut Laer. mit der Laarischen Freyheit. In Emblicheim und Arkel sind katholische Kapellen. Allodial-Gut Wolda; 1 freyer Hof in der B. Echtelen. Ueberhaupt 520 H. 1471 Freye, 1556 Sch.
9) Ger. VELTHAUSEN, Velthuizen, hat nur
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in NW. Bruch, sonst vorzüglich bebaut, besonders mit schönen nach holländischer Art gewässerten Wiesen[.] In der B. alte Picardie ist ein gräfliches Jagdschloß; in B. Grosdorf adl. Freygut Schulenburg und 2 Freyhöfe Pfd. Velthausen 137 H. doch brannten 1816 58 H. ab, 500 E. Die B. Neue Picardie wird vergrößert; so ist hier auch die B. Adorf neu gegründet. 10 B. 540 H. 2420 E.