Bent­hei­mer Schüt­zen­ge­schich­te (1983)


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Eine Geschichts­lek­ti­on aus dem Jah­re 1865

Water­loo, Königs Geburts­tag und Bent­hei­mer Schüt­zen­fest
“Möge das wel­fi­sche Scep­ter immer über uns herr­schen”

Von Wil­helm Hage­rott

Am 27. Mai des Jah­res 1865 wur­de der Fle­cken Bent­heim durch den blin­den König Georg V. von Han­no­ver zur Stadt erho­ben, die­ser Tag war des Königs Geburts­tag. In die­sem Jahr erhielt Bent­heim durch den Bau der Eisen­bahn­li­nie Almelo—Salzbergen Anschluß an das euro­päi­sche Schie­nen­netz, in die­sem Jah­re, am 18. Juni, jähr­te sich zum 50. Male die Wie­der­kehr des Tages der Schlacht bei Water­loo, und in die­sem Jahr fei­er­ten erst­mals in ihrer Geschich­te die bei­den Schüt­zen­kom­pa­nien gemein­sam das Schüt­zen­fest: Schüt­zen­fest und Water­loof­ei­er am 16. und 18. Juni 1865.

Am Mor­gen des 16. Juni zogen, beglei­tet von einer gro­ßen Men­schen­men­ge, 158 Bent­hei­mer Schüt­zen unter dem gemein­sa­men Kom­man­do des Kauf­manns A. F. Mei­er durch den in herr­lichs­tem Grün pran­gen­den Wald zum Bade. Bent­heim war damals die viert­größ­te Stadt in der Land­dros­tei (Regie­rungs­be­zirk) Osna­brück, es hat­te 2154 Ein­woh­ner; nur Osna­brück, Lin­gen und Meppen waren grö­ßer. Auf dem Schieß­stand am Bade gab es zwi­schen den Schüt­zen Nie­haus, Kolt­hoff, Ecker­mann, Hib­be, Heber­ley und Velt­mann ein hei­ßes Rin­gen um den bes­ten Schuß. Sie­ger, und damit neu­er König, wur­de D. Nie­haus, er nahm sei­ne Ehe­frau, eine gebo­te­ne te Gempt, zur Köni­gin. Beim Ball am Abend konn­te das Schüt­zen­zelt mit 100 Fuß Län­ge und 40 Fuß Brei­te 1) die Tanz­lus­ti­gen kaum fas­sen.

Am 18. Juni ver­sam­mel­te sich gegen 4 Uhr nach­mit­tags, es war präch­ti­ges Wet­ter, alles zum Fest­zug. Vor­aus der Wagen des Magis­trats, dann 5 Wagen mit etwa 30 Vete­ra­nen, dann das Musik­korps, dann 2 vier­spän­ni­ge Königs­wa­gen und end­lich der unab­seh­ba­re Zug der Schüt­zen mit ihren Kapi­tä­nen. Auf dem Schloß­hof hielt P. J. Lever­kinck die Fest­re­de 2).

Mei­ne lie­ben Mit­bür­ger und Fest­ge­nos­sen!

Es ist mir der Auf­trag gewor­den, die heu­ti­ge Fest­fei­er mit eini­gen Wor­ten ein­zu­lei­ten. Gestat­ten Sie mir einen kur­zen Rück­blick auf jene dem heu­ti­gen 50jährigen Jubel­fes­te unmit­tel­bar vor­her­ge­hen­de Zeit.

Bekannt­lich schien nach der gro­ßen Völ­ker­schlacht bei Leip­zig für die kriegs­mü­den Vol­ker Euro­pas end­lich eine Zeit der Erho­lung, des

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1) 1 Elle hat­te 2 Fuß; 1 Elle = 0,584 m; 1 Fuß = 0,292 m; (Ger­hard Twel­beck: Maße und Mün­zen, Osna­brück 1949).
2) Die Rede ist an eini­gen Stel­len unwe­sent­lich gekürzt.

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Auf­at­mens nach so lan­gen und schwe­ren Lei­den und Drangsa­len gekom­men zu sein. Die deut­sche Frei­heit war ja wie­der erkämpft, die Stadt Paris, jener Vul­kan, der schon so oft Stoß auf Stoß Euro­pa erschüt­tert hat­te, hat­te den sieg­rei­chen Hee­ren der Ver­bün­de­ten ihre Tore öff­nen müs­sen. Napo­le­on muß­te abdan­ken und nach Elba gehen. Jetzt, glaub­te man, wür­den all­mäh­lich die noch blu­ten­den Wun­den der Völ­ker wie­der hei­len.

Da, mit einem Male wird Euro­pa urplötz­lich wie durch einen gewal­ti­gen Don­ner­schlag aus hei­te­rem Him­mel aus sei­ner Ruhe auf­ge­schreckt, mit Blit­zes­schnel­le durch­fliegt die Kun­de alle Lan­de: Napo­le­on hat in aller stil­le Elba ver­las­sen, ist in Frank­reich gelan­det, sein Anhang wächst wie eine Lawi­ne von Tag Zu Tag, ganz Frank­reich fällt ihm zu, die Legio­nen sei­ner alten Krie­ger sam­meln sich unter sei­nen Fah­nen, und in unglaub­lich kur­zer Zeit führt er aufs neue ein wohl­ge­rüs­te­tes Heer von 150000 Mann in die bel­gi­schen Nie­der­lan­de auf den Kampf­platz, bereit, die erlit­te­nen Nie­der­la­gen zu rächen, die alte Macht und Gewalt wie­der zu erkämp­fen. Von da aus wur­de auch unser deut­sches Vater­land bedroht. Da galt es, jenem hart­nä­cki­gen Fein­de ein eben­bür­ti­ges Kriegs­heer als­bald ent­ge­gen­zu­stel­len. Auch aus den deut­schen Gau­en ström­ten jetzt die Frei­wil­li­gen her­bei, und in kur­zer Zeit stand eine Armee da, beseelt von einem Mute, einer Tap­fer­keit und einem Geis­te, daß sie dem alten Reichs­feind die Spit­ze bie­ten konn­te.

Heu­te vor 50 Jah­ren tra­fen die bei­den Hee­re auf­ein­an­der. Auf der einen Sei­te unter dem Befehl des gro­ßen Feld­herrn Wel­ling­ton, des “eiser­nen Her­zogs”, die ver­ei­nig­te eng­lisch-deut­sche Armee; auf der ande­ren die fran­zö­si­sche unter Napo­le­ons eige­nem Ober­kom­man­do. Die Schlacht begann mit einem hef­ti­gen Angriff auf das Schloß Hougo­mont. Sie­ben­mal stürm­ten die Fran­zo­sen in die inne­ren Höfe, sie­ben­mal wur­den sie von dort ver­trie­ben 3). Gegen das Dorf Mont St. Jean wur­de mit furcht­ba­rem Unge­stüm gestürmt, aber sei­ne Erobe­rung gelang dem Feind nicht. Es war ein schwe­rer und blu­ti­ger Tag, Wun­der der Tap­fer­keit sind hier ver­rich­tet, die Armee der Ver­bün­de­ten stand wie ein Fels im Wogen­ge­braus. Aber die unge­heu­ren Anstren­gun­gen waren von so kraft­er­schöp­fen­der Art, daß selbst der “eiser­ne Her­zog” sehn­lich die dunk­len Schat­ten der Nacht her­bei­wünsch­te. Aber die Nacht, sie woll­te nicht kom­men.

Da kommt zur glück­li­chen Stun­de der grei­se Held Blü­cher, der “Mar­schall Vor­wärts”, mit sei­nen tap­fe­ren Preu­ßen dem Fein­de in den Rücken, und durch die nun ver­ei­nig­te Kraft wur­de der glor­reichs­te, voll­stän­digs­te, end­gül­tig ent­schei­den­de Sieg errun­gen. Das fran­zö­si­sche Heer geriet in wil­de Flucht. Den Gedenk­tag die­ses herr­li­chen Sie­ges, des Sie­ges bei Water­loo, fei­ern wir heu­te. Denn mit der eng­li­schen Ar

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3) Das Schloß wur­de von Bri­ten und Braun­schwei­gern ver­tei­digt.

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Thron und Offi­ziers­korps aus dem Jah­re 1950

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mee waren auch unse­re bra­ven han­no­ver­schen Kämp­fer 4) ver­eint, und die han­no­ver­sche Tap­fer­keit hat sich hier auf wür­di­ge Wei­se bewährt. Von nun an war das Joch des Bedrän­gers der Nati­on für immer zer­bro­chen; — er, der Fürs­ten und Völ­kern so oft den eiser­nen Fuß auf den Nacken gesetzt hat­te, wur­de auf jene Fel­sen­in­sel im fer­nen Welt­meer ver­bannt, wo er sein Leben geen­digt hat.

Wol­len wir nun unse­rer fest­li­chen Erin­ne­rung die­ses gro­ßen Tages die rech­te Grund­stim­mung geben, so sagen wir zuerst und vor allem: Das hat der Herr getan! Der Herr der Heer­scha­ren, der Len­ker der Schlach­ten hat uns die­sen ewig denk­wür­di­gen Sieg geschenkt. Sei­nem gro­ßen Namen Lob, Dank, Preis und Ehre!

“Napo­le­ons blut­ges Szep­ter sank,
Dafür sei ewig Dank dem Herrn der Herr’n!
Die Frie­dens­fah­ne weht, zum Welt­pa­nier erhöht,
Hoch überm Erd­ball steht der Frie­dens­stern!”

Seit dem Sie­ge bei Water­loo sind 50 Jah­re ver­flos­sen, für unser Land die Zeit eines glück­li­chen, unun­ter­bro­che­nen Frie­dens unter dem geseg­ne­ten wel­fi­schen Zep­ter. Wie hat sich aber doch rings­um so man­ches ver­än­dert! Was unser Bent­heim vor 50 Jah­ren war, als es aus den Wun­den des Krie­ges noch blu­te­te, das haben uns unse­re Väter erzählt; was es jetzt ist, da es in fest­li­chem Schmuck prangt, wir sehen es heu­te; was wird’s in Zukunft wer­den? Wenn nach aber­mals 50 Jah­ren ein ande­res Geschlecht an unse­rer Statt die­ses Tages gedenkt, wird dann auch noch die heu­ti­ge Fest­fei­er in fröh­li­chem und dank­ba­rem Andenken sein?

O daß unse­re Bür­ger­schaft von einem Kranz christ­li­cher und bür­ger­li­cher Tugen­den mehr und mehr umschlun­gen wür­de, daB Lie­be für König und Vater­land, für Gesetz und Ord­nung, Gerech­tig­keit und Tüch­tig­keit, für alles Gute, Edle und Schö­ne hier eine blei­ben­de Stät­te fin­den möge! Wie die uralte Burg unse­res erlauch­ten fürst­li­chen Hau­ses kühn und stolz ihre Umge­gend über­ragt, so wür­den als­dann auch die in der Ebe­ne lie­gen­den Ort­schaf­ten zu einer Stadt mit sol­chen Bewoh­nern neid­los hin­auf­schau­en, wir wären als­dann mit Recht eine Stadt, die auf dem Ber­ge liegt, die nicht braucht ver­bor­gen zu sein.

‘Möge das wel­fi­sche Scep­ter immer über uns herr­schen und die getreue Stadt Bent­heim sich immer dar­un­ter glück­lich füh­len 5!) Die­se

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4) Wel­ling­ton hat­te bei Mont St. Jean 67700 Mann, von denen 24000 Bri­ten, 14000 Nie­der­län­der und etwa 30000 Deut­sche waren, unter ihnen 11200 Hano­ve­ra­ner und 6000 Braun­schwei­ger.
5) Die­ser Satz stammt aus der Ant­wort König Georg des V. auf eine am 27. Mai 1865 an ihn gerich­te­te Glück­wunsch- und Dank­de­pe­sche der Stadt Bent­heim.
“Auf­ge­ge­ben in Her­ren­hau­sen, den 31. Mai 1865.
An Herrn Bür­ger­meis­ter Stol­ten­kamp in Bent­heim
Magis­trat und Bür­ger­vor­ste­hern mei­ner getreu­en Stadt Bent­heim dan­ke ich von gan­zem Her­zen für ihre zu mei­nem Geburts­tag so lie­be­voll dar­ge­brach­ten Glück­wün­sche. Es war mir ein wah­res Her­zens­ver­lan­gen, Ihren und der Ein­woh­ner Wunsch, den Namen einer Stadt zu erhal­ten, am 27. Mai zu ver­wirk­li­chen und somit auf immer den Geburts­tag Ihrer Stadt mit dem Mei­ni­gen zu ver­ei­ni­gen. Möge das wel­fi­sche Scep­ter immer über Sie herr­schen und Sie sich immer dar­un­ter glück­lich füh­len!

Der König.”

Georg V., geb. am 27. Mai 1819, regier­te von 1851—1866.

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könig­li­chen Wor­te unse­res erha­be­nen Mon­ar­chen bei fei­er­li­cher Gele­gen­heit noch vor weni­gen Tagen an die Ver­tre­ter unse­rer Stadt gerich­tet, — sie fin­den ganz gewiß in unser aller Her­zen ein lau­tes, nie ver­hal­len­des Echo!

Dar­um Se. Königl. Majes­tät, unser aller­gnä­digs­ter König Georg V., er lebe hoch! hoch! hoch!

Die Kos­ten die­ses Fes­tes waren recht erheb­lich, sie betru­gen 653 Taler, 15 Gro­schen und 9 Pfen­nig. Es ergab sich ein Fehl­be­trag von 30 Talern, einem Gro­schen und neun Pfen­nig. Die­se Sum­me, so heißt es in der Schüt­zen­bi­bel, “wur­de mit gro­ßer Freu­de und nament­lich in Ver­an­las­sung der hohen Bedeu­tung der Water­loof­ei­er durch das ver­ei­nig­te Offi­zier- und Unter­of­fi­zier­korps, sowie durch die Köni­ge D. Nie­haus und F. Mei­er zusam­men­ge­legt.”


Für die Bei­trä­ge von Wil­helm Hage­rott wur­den benutzt die Schüt­zen­bü­cher ab 1681, Akten des Staats­ar­chivs Osna­brück, Rep. 125 I, Nr.76, Akten des Fürst­li­chen Archivs in Burg­stein­furt, A 1423 und L. Wede­wen: Bent­hei­mer Schüt­zen­ge­schich­te, gedruckt 1937 bei A. Hel­len­doorn in Bent­heim.